Ein Verkehrsunfall: Was mache ich nun?
Der Rechtsanwalt erklärt, wie Sie sich nach einem Verkehrsunfall verhalten sollten, damit Ihnen Ihre Schäden ersetzt werden. Nützliche Tipps zu den Fragen: Was muss ich aufzeichnen? Muss ich die Polizei rufen? An wen muss ich mich wenden? Was tun bei Unfallflucht? Wann brauche ich einen Rechtsanwalt? Was kostet das?
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Ein Verkehrsunfall auf einer Autobahn

Wie Sie sich nach einem Verkehrsunfall verhalten sollten

Die Zahl der Verkehrsunfälle steigt seit Jahren. Wie das statistische Bundesamt berichtet, geschahen allein im Jahr 2017 insgesamt 2.637.547 Verkehrsunfälle. Fast jeder Autofahrer ist zumindest einmal im Leben an einem Verkehrsunfall beteiligt, und sei es nur ein Parkschaden. Häufig sind die Kosten enorm: Schon ein leichter Lackschaden nur der Stoßstange kann mit mehr als 1.000 Euro zu Buche schlagen. Wie verhält man sich also richtig, will man nicht auf dem Schaden sitzen bleiben? Noch schlimmer ist es bei Personenschaden; nicht nur Behandlungskosten, sondern auch ein Verdienstausfall oder gar eine Unfallrente stehen auf dem Spiel.

Dokumentation

Nichts ist wichtiger, als den Verkehrsunfall zu dokumentieren, denn wer keine Beweise für die Schuld des Gegners hat, muss den Schaden selbst tragen. Gute Karten hat, wer einen Beifahrer dabei hat: Jeder Beifahrer ist Zeuge und damit ein vollwertiges Beweismittel. Auch minderjährige Kinder und der Ehe- oder Lebenspartner sind (entgegen einem verbreiteten Rechtsirrtum) Zeugen, ebenso Angestellte oder Freunde. Waren andere Zeugen in der Nähe, sollten Sie diese sie sofort nach dem Unfall ansprechen und sich ihren Namen und Anschrift aufschreiben. Dabei müssen Sie schnell sein, denn der typische Unfallzeuge will nicht „in die Angelegenheiten fremder Leute hereingezogen werden“. Oft sind alle Zeugen innerhalb weniger Minuten fort. Außerdem sollten Sie so schnell wie möglich Fotos von beiden Fahrzeugen, der Unfallstelle und von der Position der Fahrzeuge direkt nach dem Verkehrsunfall machen. Dafür können Sie jedes Gerät benutzen, das Fotos aufnehmen kann – Mobiltelefone sind dafür sehr gut geeignet, weil sie in den Fotos auch Aufnahmezeit, Aufnahmeort und Aufnahmedatum speichern. Das sind die sogenannten EXIF-Daten, die die Versicherung oder das Gericht später auswerten können.

Sonderfall „Dashcam“

Sie haben eine „Dashcam“, also eine Kamera, die laufend aufzeichnet, wo und wie Sie fahren? Sehr gut – das ist seit neuestem nämlich erlaubt und die Aufzeichnung kann auch ohne Zustimmung des Unfallgegners im Prozess verwendet werden, wie das OLG Nürnberg meint. Denken Sie aber daran, direkt nach dem Verkehrsunfall die Funktion der Kamera zum dauerhaften Speichern der Unfallaufnahme zu benutzen. Denn viele Kameras löschen fortlaufend ältere Aufnahmen, um Platz für neue Aufnahmen zu schaffen. Achtung: Die meisten Dashcams filmen nur nach vorne.

Soll ich die Polizei rufen?

Und die Polizei? Die sollten Sie immer rufen, denn viele Versicherungen zahlen nicht, wenn Sie nicht die Polizei zur Aufnahme des Verkehrsunfalls gerufen haben. Sind Personen zu Schaden gekommen, also nicht nur die beteiligten Fahrzeuge, müssen Sie das sogar tun. Außerdem nimmt Ihnen die Polizei die Aufnahme der wichtigsten Daten des Unfalls ab.

Und wenn Sie die Polizei nicht rufen möchten, sollten Sie zumindest selbst einen Unfallbericht fertigen. Wir empfehlen, dafür ein Muster zu verwenden. Gut geeignet sind zum Beispiel der europäische Unfallbericht und der Unfallbericht des ADAC.

Der Unfallgegner ist geflohen

Auch in diesem Fall sollten Sie, wenn Sie es sehen und sich merken konnten, das Kfz-Kennzeichen (auch, wenn es sich um ein ausländisches Fahrzeug handelte) sofort notieren. Schreiben Sie eine möglichst genaue Beschreibung des gegnerischen Fahrzeuges und des Fahrers auf. Rufen Sie dann die Polizei und machen Fotos von Unfallort und Ihrem Fahrzeug. Wenn der Unfallgegner sich verkehrswidrig verhalten hat, erstatten Sie am besten auch gleich Strafanzeige und stellen Strafantrag. Denn die Strafakte kann Ihr Rechtsanwalt später bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft anfordern und für Sie einsehen. Das können übrigens nur Rechtsanwälte. Ihnen selbst bleibt dieses Recht verwehrt.

Unfallmeldung bei der Versicherung

Gleich danach, entweder an Ort und Stelle oder nach Ihrer Heimfahrt, sollten Sie den Verkehrsunfall schnellstmöglich Ihrer eigenen Versicherung melden. Das geht telefonisch, bei vielen Versicherung auch per Website oder App. Haben Sie kein Mobiltelefon, können Sie auch die orangenen Notrufsäulen entlang der Autobahnen verwenden, diese werden nämlich von den Versicherungen betrieben.

Mit der Anmeldung Ihres Schadens bei der gegnerischen Versicherung – wenn der Gegner ganz oder teilweise den Verkehrsunfall verschuldet hat und nicht Sie selbst – können Sie mit gutem Gewissen sofort nach dem Verkehrsunfall einen Rechtsanwalt beauftragen. Denn bei Verkehrsunfällen muss die Versicherung desjenigen, der den Unfall verschuldet hat, alle Kosten der Tätigkeit eines Rechtsanwalts tragen, und zwar von Anfang an. Der Geschädigte (also das Unfallopfer) muss nicht selbst tätig werden, weil die Berechnung der Schäden und die Anmeldung der Schäden bei der Versicherung sehr komplex ist.

Meldung bei der Rechtsschutzversicherung

Wenn Sie eine Rechtsschutzversicherung haben, teilen Sie dem Rechtsanwalt dies am besten ebenfalls mit. Der Rechtsanwalt muss dann direkt mit der Versicherung abrechnen. Wenn Sie sicher sein wollen, dass für Sie keine Kosten entstehen (oder höchstens die vereinbarte Selbstbeteiligung), können Sie auch selbst vorab die Deckungszusage Ihrer Rechtsschutzversicherung einholen. Näheres zur Rechtsschutzversicherung finden Sie in diesem Beitrag. Wichtig: Sie können Ihren Rechtsanwalt immer völlig frei wählen. Sie haben also keinen Vorteil, wenn Sie einen Rechtsanwalt beauftragen, den die Rechtsschutzversicherung vorschlägt. Diese haben häufig einen Vertrag mit der Versicherung, mit dem sie sich verpflichten, geringere Gebühren gegenüber der Versicherung abzurechnen. Auch benötigen Sie nicht zwingend einen Fachanwalt, da die meisten Verkehrsunfälle keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten aufweisen.

Wie hoch ist mein Schaden?

Der Rechtsanwalt kann nicht ermitteln, wie hoch der Schaden an Ihrem Fahrzeug ist. Das kann nur eine Werkstatt oder ein Sachverständiger. Wenn Sie eine Rechtsschutzversicherung haben, die Verkehrssachen abdeckt (das sind die meisten Rechtsschutzversicherungen) oder Sie sicher sind, dass der Unfallgegner die Schuld an dem Verkehrsunfall trägt, sollten Sie einen Kfz-Schadenssachverständigen beauftragen. Dieser wird nämlich nicht nur die Reparaturkosten berechnen. Er ermittelt auch die Ihnen zustehende Entschädigung dafür, dass Sie eine Zeit lang kein Auto haben, und die Wertminderung des Fahrzeuges. Denn Autos, die einen reparierten Unfallschaden haben, sind beim Wiederverkauf weniger wert als unfallfreie Fahrzeuge. Wenn Sie nicht rechtsschutzversichert sind, können Sie die Kosten eines Sachverständigen von 200 bis zu 1.000 Euro vermeiden, indem Sie einen Kostenvoranschlag einer Werkstatt einholen. Das kostet in der Regel von gar nichts bis zu ca. 100 Euro.

Sobald diese Unterlagen (Sachverständigengutachten oder Kostenvoranschlag) vorliegen, kann Ihr Rechtsanwalt den Unfallschaden bei der gegnerischen Versicherung geltend machen.

Schadensausgleich und Reparatur

Bis die Versicherung zahlt, kann es einige Wochen bis zu mehreren Monate dauern. In manchen Fällen zahlt die Versicherung nur einen Teil Ihrer Forderung. Das kann mehrere Gründe haben: Entweder behauptet der Unfallgegner, Sie hätten den Verkehrsunfall verschuldet. Oder die Versicherung bestreitet nur die Höhe der Forderung. Spätestens dann sollten Sie einen Rechtsanwalt aufsuchen. Nur er kann prüfen, ob die Abzüge berechtigt sind. Sehr häufig sind die Abzüge unberechtigt. Beliebt bei Versicherungen ist etwa die Behauptung, eine bestimmte Werkstatt sei günstiger, als es der Sachverständige oder die Vertragswerkstatt berechnet hat. Ein unberechtigter Einwand, denn Sie können die Werkstatt frei wählen. Sie dürfen dabei auch eine teurere Werkstatt mit der Reparatur beauftragen.

Ich will mein Auto nicht reparieren. Bekomme ich trotzdem Geld?

Ja. Sie müssen nicht zwingend das Fahrzeug reparieren, sondern können die Erstattung der Versicherung auch für sich behalten. In diesem Fall bekommen Sie allerdings nur die Netto-Reparaturkosten ohne Umsatzsteuer und den Minderwert, aber keine Nutzungsausfallentschädigung.

Ich weiß nicht, wer der Unfallgegner ist

Keine Angst, bei Unfallflucht erhalten Sie zumindest einen Teil des Schadens ersetzt. Sie oder Ihr Rechtsanwalt können sich in diesem Fall an der Verein Verkehrsopferhilfe e.V. wenden. Wenn Sie einen Rechtsanwalt beauftragen, wird er auch prüfen, welche Schäden die Verkehrsopferhilfe ersetzt, und, wenn die Verkehrsopferhilfe ablehnt, ein Klageverfahren gegen die Verkehrsopferhilfe führen, denn es handelt sich bei diesem Verein um eine staatlich finanzierte Einrichtung. Die Entschädigung ist also ein Rechtsanspruch, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.

Der Gegner fuhr ein ausländisches Fahrzeug

Wenn es sich um ein EU-Fahrzeug handelte, haben Sie Glück: Über den Verein „Deutsches Büro Grüne Karte e.V.“ können Sie oder Ihr Rechtsanwalt erfragen, an welche deutsche Versicherung Sie sich wenden können, um den Verkehrsunfall in Deutschland melden und abwickeln zu können. Wichtig: Wenden Sie sich in diesem Fall an einen in Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt. Nur dann können Sie sichergehen, dass die in Deutschland oft sehr hohen Reparaturkosten erstattet werden.

Was hat es mit dem Bußgeldverfahren oder Strafverfahren auf sich?

Je nach Ablauf des Verkehrsunfalls kann es sein, dass die Polizei Ihnen schon am Unfallort ein Bußgeld oder sogar eine Strafe ankündigt. Dann erhalten Sie vielleicht einige Zeit nach dem Unfall einen Bußgeldbescheid, einen Strafbefehl oder einen Anhörungsbogen und werden einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat beschuldigt werden. Sie halten sich für unschuldig? Dann sollten Sie sich sehr schnell an einen Rechtsanwalt wenden. Bußgeld- und Strafverfahren laufen dann gleichzeitig, aber getrennt von der Abwicklung mit der Versicherung. Deshalb entstehen auch weitere Kosten für ein solches Verfahren.

Die Versicherung lehnt endgültig ab – Das Klageverfahren

Hat die Versicherung endgültig abgelehnt, können Sie Klage erheben. Für Schäden von bis zu 5.000 Euro ist dafür das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk sich der Verkehrsunfall ereignet hat, oder das Gericht, in dessen Bezirk die gegnerische Versicherung ihren Sitz hat. Bei größeren Schäden ist das jeweilige Landgericht zuständig. Vorsicht: Beim Landgericht können Sie nicht selbst klagen, denn dort herrscht der sogenannte „Anwaltszwang“, das heißt Sie müssen einen Rechtsanwalt beauftragen.

Was kostet mich das alles?

Wenn Sie eine Rechtsschutzversicherung haben, die Verkehrssache abdeckt, im schlimmsten Fall nur die Selbstbeteiligung, und wenn Sie keine Selbstbeteiligung haben, nichts. Eine solche Versicherung können Sie schon für knapp 80 Euro im Jahr erhalten, etwa beim ADAC als Zusatzprodukt oder über einen Versicherungsmakler.

Wenn die gegnerische Versicherung den Schaden übernimmt, erhalten Sie Ihre selbst gezahlten Kosten erstattet – auch bei nur teilweiser Erstattung erhalten Sie also eine gezahlte Selbstbeteiligung erstattet.

Und wenn ich mir das nicht leisten kann?

Wenn Sie bedürftig sind, können Sie Beratungshilfe und – wenn Sie klagen müssen – Prozesskostenhilfe erhalten. Der Staat übernimmt dann Ihre eigenen Rechtsanwaltskosten und Gerichtskosten. Einen Gutschein für Beratungshilfe bekommen Sie gegen Vorlage von Gehaltsabrechnung, Leistungs- oder Rentenbescheid, Personalausweis und aktuellem Kontoauszug bei Ihrem nächstgelegenen Amtsgericht.